Dysphagie, Hypersalivation, Schwäche und Gewichtsverlust bei einem spanischen Rassepferd (P.R.E.)

Antonio Meléndez-Lazo DVM, MSc, PhD, MRCVS (LABOKLIN Labor für Klinische Diagnostik, Bad Kissingen, Germany)

Roberto Rey Conejo DVM (LABOKLIN Spanien, Madrid)

María Luisa Rodríguez Pozo (Hospital Veterinario San Vicente, Sant Vicent del Raspeig, Spanien)

SIGNALEMENT UND ANAMNESE

Ein 11 Jahre alter P.R.E Wallach wurde an die Klinik (Hospital Veterinario San Vicente) wegen einer seit 3 Tagen andauernden Dysphagie, Hypersalivation, Schwäche und Gewichtsverlust überwiesen. Seit einer Woche war darüber hinaus eine Leistungsintoleranz aufgefallen und vor wenigen Stunden eine Pigmenturie.

Der Patient wurde mit Suxibuzon/Phenylbutazon (3,3mg/kg p.o.) und einer einmaligen Dexamethason-Gabe (0,1 mg/kg i.v.) behandelt, zeigte jedoch keine deutliche Besserung.

 

KLINISCHE UNTERSUCHUNG:

In der klinischen Untersuchung zeigte das Pferd einen Body Condition Score von 4/9 und milde Atrophie der Glutealmuskulatur (Abb. 1).

In der neurologischen Untersuchung fand sich eine Dysphagie und ein verminderter Muskeltonus der Zunge. In der vollständigen Maulhöhlenuntersuchung und Endoskopie des Sinussystem, Pharynx und Larynx wurden keine Auffälligkeiten festgestellt.

Abb. 1 Deutliche Muskelatrophie der Sitzbein- und Glutealmuskulatur

WEITERFÜHRENDE UNTERSUCHUNGEN

Hämatologie und klinische Chemie

Ein Blutbild (ADVIA 120), klinische Chemie (Olympus AU400) und Fibrinogenbestimmung (Hitzepräzipitation) wurden durchgeführt (Tab. 1 und 2). Die makroskopische Serumuntersuchung war unauffällig.

Tab 1. Ergebnisse des Blutbildes
Table 2. Ergebnisse der klinischen Untersuchung

Harnuntersuchung

Eine Urinprobe wurde entnommen (Abb. 2) und eine Urinanalyse durchgeführt (Tab. 3). Ein Aliquot wurde zentrifugiert und der Überstand mit einem unzentrifugierten Aliquot verglichen. Der Überstand war in beiden Aliquots verfärbt und im Urinsediment fanden sich keine Erythrozyten. Eine Hämaturie wurde daher ausgeschlossen.

Abb. 2. Harnprobe mit dunkelrot-brauner Färbung
Tab. 3. Ergebnisse der chemischen Urinuntersuchung

FRAGEN

  1. Was ist Ihre Interpretation der hämatologischen Befunde?
  2. Findet sich in der klinischen Chemie ein eindeutiger Hinweis auf die Diagnose?
  3. Was ist die wahrscheinlichste Ursache der Urin-Färbung und inwiefern unterstützt die Urinuntersuchung im vorliegenden Fall die Diagnosefindung?
  4. Welche weiterführenden Tests würden Sie durchführen?

Auflösung

Was ist Ihre Interpretation der hämatologischen Befunde?

Die geringgradige, normozytäre, normochrome Anämie ist vermutlich auf eine Anämie der chronischen/entzündlichen Erkrankung zurückzuführen und der geringgradige Anstieg des MCHC ist ein Artefakt.

Die geringgradige Leukopenie basierend auf einer Lymphopenie ist wahrscheinlich Folge eines Glukokortikoid-Stimulus (Stress).

 

Findet sich in der klinischen Chemie ein eindeutiger Hinweis auf die Diagnose?

Der geringgradige Anstieg in der AST und hochgradige Anstieg der CK Aktivität sind vereinbar mit einem Muskelschaden. Die Hyperfibrinogenämie deutet auf eine Entzündungsreaktion hin.

 

Was ist die wahrscheinlichste Ursache der Urin-Färbung und inwiefern unterstützt die Urinuntersuchung im vorliegenden Fall die Diagnosefindung?

Aufgrund der normalen Farbe des Serums im Vergleich zu der deutlich dunkelrot-braunen Färbung des Urins, ist eine Myoglobinurie wahrscheinlicher als eine Hämoglobinurie die Ursache der Pigmenturie.

Aufgrund der Anamnese, dem klinischen Erscheinungsbild, der erhöhten AST und CK- Konzentration und der Pigmenturie (vermutlich Myoglobinurie) wurde die Verdachtsdiagnose einer nicht-belastungsbedingten Rhabdomyolyse gestellt.

 

Welche weiterführenden Tests würden Sie durchführen?

Aufgrund des klinischen Verdachtes einer alimentär bedingten Myodegeneration wurde eine Untersuchung auf Vitamin D, Selen und Glutathioperoxidase-Aktivität aus Serum und EDTA-Blut durchgeführt (Tab. 4). Eine Muskelbiopsie mit anschließender histopathologischer Untersuchung wären für die genauere Charakterisierung der Myopathie angeraten.

 

Tab 4. Ergebnisse der weiteren Untersuchungen

Die Ergebnisse waren vereinbar mit einem Vitamin E/Selen-Mangel mit hochgradig verminderter antioxidantischen Aktivität der Glutathionperoxidase.

Es wurden Tru-Cut Biopsien der Glutealmuskulatur entnommen und in der histopathologischen Untersuchung zeigten die Muskelzellen eine Fragmentierung, Hyalinisierung und generalisierter Verlust der Querstreifung (Abb. 3). Etwa 25% der Muskelfasern waren durch Fibroblasten ersetzt und es lag eine gemischte Entzündungsreaktion mit Makrophagen, Lymphozyten und Plasmazellen vor. In der Masson-Trichome Färbung fand sich eine geringgradige Fibrose in einigen Arealen des Muskels (Abb. 4)

Abb. 3. Histologisches Bild einer Muskelprobe (HE-Färbung). Es zeigt sich ein Verlust der Querstreifung
Abb. 4. Histologisches Bild einer Muskelprobe (Masson-Trichrome Färbung). Bindegewebige Einlagerungen zwischen den Muskelfasern.

Aufgrund der Ergebnisse der Muskelbiopsie im Zusammenhang mit den verminderten Konzentrationen an Vitamin E und Selen bestätigte sich der Verdacht einer alimentären Myodegeneration.

 

DIAGNOSE: Alimentäre Myodegeneration aufgrund eines kombinierten Vitamin E und Selenmangels (Weißmuskelkrankheit)

 

 

THERAPIE UND VERLAUFSKONTROLLE

Es erfolgte währen der ersten Stunden nach der Aufnahme des Patienten eine Infusionstherapie mit isotoner Lösung (Ringerlactat, 4mL/kg/h), Kalzium-Borogluconat 23% (20mL) und Glucoselösung (1mg/Kg/min). Darüber hinaus wurden intravenös Dimethylsulfoxid (0,5 g/kg BID) und Flunixin-Meglumin (0,5 mg/kg BID) sowie eine einmalige Gabe Azepromazin (0,03 mg/kg) intramuskulär verabreicht. Des Weiteren wurde eine orale Therapie mit Vitamin E (25 UI/kg SID) und Selen (0,1 mg/kg SID) nach Diagnosestellung begonnen.

Nach 48 Stunden hatte sich der Zustand des Pferdes verbessert, die Muskelschwäche wurde weniger und das Schluckvermögen nahm zu.

Die Farbe des Harns normalisierte sich (Abb. 5) und regelmäßige Messungen der AST und CK Aktivitäten zeigten einen deutlichen Abfall der Werte (Tab. 5).

Tabelle 5: Entwicklung des Serum AST und CK während des Klinikaufenthalts
Abb 5: Entwicklung der Urinproben während des Krankenhausaufenthalts (Tag 0, 1, 3, 5 und 8 fortlaufend). Achten Sie auf den stufenweisen Verlust der rot-braunen Färbung bis ein normal gefärbter Urin erlangt wurde.

Der Patient wurde zehn Tage nach stationärer Aufnahme entlassen. Eine weitere orale Therapie mit Vitamin E und Selen sowie eine Rationsberechnung durch einen Ernährungsberater wurden empfohlen. Darüber hinaus wurde Boxenruhe bis zur vollständigen Normalisierung der Muskelwerte und anschließendes langsam steigerndes Aufbautraining angeraten.

15 Tage nach der Entlassung war das Muskelvolumen fast vollständig wiederhergestellt und die Serum AST und CK Aktivitäten waren innerhalb der Referenzbereiche.

 

 

ZUSAMMENFASSUNG

Selen und Vitamin E sind essentielle Elemente für mehrere wichtige Stoffwechselwege und spielen eine Rolle als Antioxidantien. Eine Mangel dieser Stoffe vermindert die Resistenz gegen zellulären oxidativen Stress wodurch die Zellmembranen anfälliger für eine Zerstörung durch freie Radikale aus dem Zellstoffwechsel werden. Das häufigste klinische Bild sind muskuläre und neuromuskuläre Erkrankungen wie die Weißmuskelkrankheit, equine Motorneuron-Krankheit und equine degenerative Myeloenzephalopathie.

Eine alimentär bedingte Myodegeneration wird häufiger bei jungen Fohlen unter zwei Monaten beobachtet, jedoch sind auch Fälle in erwachsenen Pferden beschrieben. Laktierende Stuten, junge Pferde im Wachstum sowie Rennpferde haben den höchsten Bedarf an Vitamin E und Selen (Supplemetierung), insbesondere wenn kein Zugang zu frischem Gras vorhanden ist.

 

Daher sollte bei der Vorstellung eines Patienten mit Schwäche, Muskelatrophie und Pigmenturie eine Rhabdomyolyse aufgrund einer alimentär bedingten Myodegeneration auch bei ausgewachsenen Patienten in Betracht gezogen werden.

 

 

References:

 

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Perkins G, Valberg SJ, Madigan JM, Carlson GP, Jones SL. Electrolyte disturbances in foals with severe rhabdomyolysis. J Vet Intern Med. 1998 May-Jun;12(3):173-7.